05.04.09

AUF SPEED, DATING

Im Sommer, an irgendeinem Tag in der Woche, um sieben Uhr abends, verlasse ich meine Wohnung, von Kopf bis Fuß in H&M gekleidet. Auf der Strasse angekommen denke ich, ich habe den Gasherd nicht ausgemacht, auf dem ich mir vorhin 6 Spiegeleier gebraten habe und gehe noch mal hoch in die Wohnung, der Gasherd ist aus. Wieder schließe ich ab und laufe die beiden Stockwerke nach unten, dann auf die Fasanenstrasse, rechts runter bis zum Kurfürstendamm, auf dem kaum ein Mensch ist. Ich höre Sinead O´Connors Version von The Streets Of London auf meinem iPod.
Eine halbe Stunde später sitze ich in einer Bar am Alexanderplatz. Vor mir sitzt Karin. Karin ist eine verbitterte Mittdreißigerblondine im schwarzen Kostüm und grinst mich an, während sie versucht, ein Gespräch in Gang zu bringen. Ihr Kostüm ist höchstens von H&M, es sitzt schlecht und sie trägt ein weißes T-Shirt mit U-Boot-Ausschnitt darunter. Ihre hochhackigen Schuhe (immerhin) sind mindestens 5 Jahre alt. Sie hat schöne Augen, allerdings nicht so schön wie meine, die sie fasziniert fixiert. Vor mir liegt ein Zettel mit Feldern und Kästchen und Namen. Karin hat das erste Feld. Ich male Kringel und Totenköpfe auf das Blatt, als sie von ihrem letzten Freund erzählt. Unglaublich, warum sie nicht begreifen kann, dass sie 4 Jahre nach Ihrer Trennung immer noch Single ist. Noch bevor unsere 7 Minuten vorüber sind, schreibe ich anstatt ja oder nein nur Eine intellektuelle Annäherung ist unmöglich in ihr Kästchen und drücke ihr superschlaff die feuchte Hand zum Abschied. Sie lächelt mich noch einmal eindringlich an und ich erschrecke mich. Die nächste Frau, Julia, ist wahnsinnig hässlich („Faschistin“), Svea, eine Russin, ebenfalls („bot mir Kokain an“), hat aber zumindest keine schlechte Figur. Mir ist übel von einer Line Speed, die ich zwischen Silvia und Katharina genommen habe. Später am Abend habe ich mich mit 10 Frauen unterhalten und ich setze meinen Kopfhörer wieder auf (R.E.M.’s It´s the end of the world) und trotte Richtung U-Bahn.
Noch später am Abend trinke ich ein Bier in der Paris Bar.
Udo Walz.
Ich greife mein Glas und setze mich ans Fenster an den Tisch, an dem ich vor Ewigkeiten mal mit der kleinen Blonden geknutscht habe, kurz vor unserem ersten, langweiligen Sex und Nadja Auermann sitzt am Nebentisch und trinkt Wasser und Wolfgang Joop lacht laut, zu laut.
Dann gehe ich endlich nach Hause und sehe 3 Folgen Futurama auf DVD, die ich gestern im Makromarkt am Kurfürstendamm gekauft habe, Season 4, und lege mich danach ins Bett, wo ich irgendwann einschlafe und von irgendetwas träume.

Dann bin ich plötzlich im Allgäu und ich bin sehr jung und meine Eltern wecken mich auf einem Bauernhof in Pfronten und ich gehe in die Scheune wo junge Kätzchen um meine Beine schleichen und leise miauen und ich fange an zu weinen, weiß aber nicht warum. In der Ecke steht ein Mann, der mich anschaut und sich Notizen macht, er lächelt mich an und reibt sich seine Hände.

Mann, diese Pilze.

(Aus: "Wann ist Schluss?")

5 Kommentare:

  1. deswegen sterben viele Leute in künstlerischen Berufen so früh. Die, die einen wirklich ergreifen und mitreissen. Sie sehen mehr als andere und können es nicht mehr ertragen - und schon gar keine Pilze!

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  2. was ist dieses "wann ist schluss" ?
    ein buch? ein film? hab jetzt hier schon mehrere sachen davon gelesen und finds immer wieder geil.

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  3. "Wann ist Schluss?" gibt es nicht, oder? Oder gibt es schon, aber nur in Gedanken...

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  4. doch, das gibts. mehr infos? schreib mir ne mail an ralf@filmdeluxe.de



    gruss

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