07.02.10

BIS ZUM MOND UND WIEDER ZURÜCK

Die Anschnallzeichen sind erloschen, der Monitor zeigt blinkend anscheinend wichtige Daten: Flughöhe, Geschwindigkeit. Sowas halt. Der komische Akzent, den selbst die Weißen hier unten haben, wird durch den scheppernden Lautsprecher nur noch unverständlicher und kauderwelschiger, falls es so ein Wort überhaupt gibt. Info: Der Airbus dreht noch ´ne Runde um den Tafelberg. Fotoapparate klicken. Kennt man ja, trotzdem toll. Kapstadt, unter uns, entfernt sich. Berlin kommt näher.
Die Orte unter mir tragen Namen, die magisch klingen: Tansania, Botswana, der Okavango. Hier will ich mal begraben werden. Mann, hier abstürzen, jetzt, die Maschine voll besetzt, das wär was! Leute schreien auf in Panik und ich sitze nur ruhig da und lächle dem Aufschlag entgegen. N’kosi Sikel iAfrika, heisst es doch so schön. Gott schütze Afrika.

„Leider hat er das in den letzten paar Hundert Jahren eher schleifen lassen. Der ganze Kontinent liegt doch am Boden. Südafrika ist vielleicht noch mit einem blauen Auge davongekommen, aber Schwarzafrika? Der Osten, der Westen? Schutt und Asche, Mord und Totschlag, Aids und so. Hör mir auf mit Afrika. Um mein schlechtes Gewissen zu besänftigen war ich gestern noch schnell im Township, Arme füttern, weißt Du? Da haben alle Aids, selbst die Kinder, und alle hausen in Hütten, ohne Licht, ohne Strom, nur 10km Luftlinie von unserer Villa mit Meerblick, 1200 EUR kostet die am Tag, war echt’ne Wucht. Im Township haben kleine Kinder meine Hand nicht loslassen wollen, mich mit grossen Augen angefleht, so wie sie jeden anflehen, der von „draussen“ in Ihre Welt kommt. Aidskranke, ausgemergelte, bettelarme kleine Kinder. Aber ich mußte zurück, hatte doch das Dinner mit der Agentur, schicker Laden, direkt am Strand, sauteuer, nobel, hübsche Menschen.
Tausende Kinder verhungern. Jeden Tag. Willst Du Afrika kennenlernen, spar dir die Safaris. Geh in die Townships. Das ist alles, was von diesem Kontinent noch übrig ist. Ein paar Löwen, Leichen, Souvenirs. N’kosi Sikel iAfrika.“

Mittlerweile wird der Flug ganz schön unruhig. Draussen ist rabenschwarze Nacht, man verteilt Decken, das Kabinenlicht wird gedimmt. Ich bestelle bei meinem schwulen Steward noch einen Gin Tonic und schreibe weiter an einem Brief, von dem ich nicht weiß, ob er je ankommen wird, denn vielleicht stürzt dieses Flugzeug ja tatsächlich ab, hoffentlich über dem Okavango-Delta, denn das ist das Paradies, sagt man hier, in Afrika.

Und dann sehe ich die beiden hinter mir, wie sie ihre Hände halten und glücklich sind und lachen und küssen. Ich bestelle noch einen Drink. Dann noch einen.

7 Stunden später wache ich auf, trotz Liegesessel tut mir alles weh, aber irgendwie hat’s das auch schon vorher, glaub ich. Der Monitor zeigt Nordafrika, ein Stück vom Mittelmeer, in braun, grün und blau. Im Schlaf hab ich ihn also fast hinter mir gelassen, den Kontinent.

Ich habe mir die ganze Zeit vorgestellt, das Du an meiner Seite wärst und nicht soweit entfernt, in Schnee und Eis. Die ganze Zeit warst Du an meiner Seite, weißt Du? Ich bin mit dir am Strand entlang gegangen, wir haben auch unsere Hände gehalten, wie die anderen glücklichen Menschen hier, in Clifton Beach, oder Green Point. Du hast in die Sonne gelacht, an allen Tagen. Abends hast Du immer Fisch gegessen, und einmal hab ich sogar probiert und Du hast dich halbtot gelacht, als ich mein Gesicht verzogen habe, denn Fisch, den mag ich doch nicht. Die ganze Zeit warst Du an meiner Seite.
Ach, Afrika.

Ich vermisse es jetzt schon, weißt Du? Ich weiss nicht, wann ich wiederkommen werde, ob alleine oder zu zweit, vielleicht auch erst im hohen Alter, dann aber wohl sicher alleine.
Es ist schwer, sich von etwas zu trennen, das so schön ist und einen so glücklich macht. Es bleibt zurück, doch nie wird es seine Schönheit verlieren. Man kann sie halt nur nicht sehen, nicht teilen, nicht mehr geniessen. Alles was bleibt, ist die Erinnerung. Ok, manchmal muss man nur in ein Flugzeug steigen, aber manchmal ist alles viel weiter weg und kein Flugzeug dieser Welt findet den Weg zurück ins Paradies, denn manche Orte wollen nicht wiedergefunden werden...

In London stehen wir 2 Stunden am Gate, das Flugzeug ist defekt und ich denke nur Absturz über dem Ärmelkanal schliesse ich kategorisch aus. Irgendeine Klappe funktioniert nicht, sagt der Captain. Ich hasse London jetzt.


„Von hier bis zum Mond und zurück...“

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